08.03.–17.05.2023 / Oper
Der Kaiser von Atlantis
oder Die Tod-Verweigerung
Viktor Ullmann
Beschreibung
Ein Herrscher so grausam, dass selbst der Tod streikt. Komponiert in der Hölle des KZ – starke Bilder und vom Jazz inspirierte Klänge.
Spiel in einem Akt (1943/44)
Dichtung von Peter Kien
Dichtung von Peter Kien
Ausgerechnet in der Hölle des Konzentrationslagers Theresienstadt fand Viktor Ullmann seine unverwechselbare Stimme als Komponist. Die Marschmusik seiner Kindheitstage als Sohn eines hochrangigen k.u.k.-Offiziers, die Lehren seiner Mentoren Arnold Schönberg und Alexander von Zemlinsky, die jazzgeprägte Unterhaltungsmusik seiner Zeit, die Liebe zur formalen Strenge eines Johann Sebastian Bach – all diese biografischen Einflüsse verarbeitete Ullmann in seiner Oper „Der Kaiser von Atlantis“ virtuos und anspielungsreich zu einem aufregenden Stilmix.
Die Parabel über die Arbeitsverweigerung des Todes, der sich nicht länger zum mörderischen Handlanger des despotischen Kaiser Overall instrumentalisieren lassen möchte, entstand 1943/44 im Konzentrationslager Theresienstadt. Ihre Botschaft, aufzustehen gegen Unrecht und Unterdrückung, trägt bis in unsere Gegenwart, wie die unlängst mit dem 11. EOP – Internationalen Opernregie-Preis ausgezeichnete Regisseurin Ilaria Lanzino in ihrer eindringlichen Inszenierung nachvollzieht.
Die Parabel über die Arbeitsverweigerung des Todes, der sich nicht länger zum mörderischen Handlanger des despotischen Kaiser Overall instrumentalisieren lassen möchte, entstand 1943/44 im Konzentrationslager Theresienstadt. Ihre Botschaft, aufzustehen gegen Unrecht und Unterdrückung, trägt bis in unsere Gegenwart, wie die unlängst mit dem 11. EOP – Internationalen Opernregie-Preis ausgezeichnete Regisseurin Ilaria Lanzino in ihrer eindringlichen Inszenierung nachvollzieht.
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Dramaturgie
Besetzung
Overall, Kaiser von Atlantis
Der Lautsprecher
Der Tod
Harlekin
Ein Soldat
Ein Mädchen
Trommler
Stimmen unserer Scouts zu "Der Kaiser von Atlantis"
Zur Premiere im Theater Duisburg
Der machthungrige Kaiser Overall sitzt wie eine Spinne im Zentrum seiner Machtfäden, die er in alle Richtungen gesponnen hat und regiert über ein Reich, in dem es nicht mehr lebenswert ist, dessen Volk seiner Kriegstreiberei längst überdrüssig ist. Selbst der heruntergekommene Harlekin bringt nicht mehr zum Lachen; an diesem hoffnungs- und trostlosen Punkt der Geschichte verweigert der Tod seinen Dienst, niemand kann und darf mehr sterben… in diese rundum eindrucksvolle Szenerie wird der Zuschauer und –hörer der Oper "Der Kaiser von Atlantis", eine „Parabel über den Tod“, versetzt und nicht mehr aus den emotionalen Fängen entlassen. Großartig ist diese Musik, die ein Schmelztigel und Zeugnis verschiedener musikalischer Einflüsse der Zeit (1943) ist, ein vor Anspielungen strotzendes Bühnenbild, gelungene Kostüme, deren künstliche Falschheit erkennen lassen, dass das Bunte nur Fassade ist. Hoffnung keimt erst auf, als der letzte Machtfaden des Kaisers symbolisch reißt…lebendig wird die Geschichte durch die überzeugende sängerische und schauspielerische Leistung des Ensembles. Alles zusammen ist großartig auf der Bühne umgesetzt und bleibt nachhaltig in Erinnerung. Diese Oper ist ein Muss!
Zur Premiere im Opernhaus Düsseldorf
Das Stück wirkte in mir länger nach. Dafür war besonders wichtig, dass Inszenierung (Ilaria Lanzino) und Bühnenbild (Emine Güner) die Parabel nicht als Nazi-Stück oder mit Bezug auf Corona inszenierten, sondern als immerwährendes Gleichnis. Eine minimalistische Bühne mit vielen gespannten Seilen als eine Art Gefängnis für die Menschen, auch für den Kaiser. Die Seile fallen zu Boden, als die Angst vor dem Kaiser schwindet. So, wie der Text eine große Zahl von „Shakespeare-artigen“ Wahrheiten präsentierte, fügte Ilaria Lanzino eine Vielzahl von symbolhaften Bildern und Handlungen ein, welche zusammen mit dem immer sehr einfühlsamen Dirigat von Axel Kober ein überzeugendes Gesamtkunstwerk ergaben.
Die in diesem selten gespielten Stück präsentierte Parabel war berührend und bewegend. Hierfür war entscheidend, dass die Inszenierung der Versuchung widerstand, ein historisch oder aktuell verortetes politisches Stück zu präsentieren, sondern ein zeitloses Gleichnis von Leben, Liebe und Tod zeichnete.
Die in diesem selten gespielten Stück präsentierte Parabel war berührend und bewegend. Hierfür war entscheidend, dass die Inszenierung der Versuchung widerstand, ein historisch oder aktuell verortetes politisches Stück zu präsentieren, sondern ein zeitloses Gleichnis von Leben, Liebe und Tod zeichnete.
Die Inszenierung ist wahrlich gelungen. Die Verortung wunderbar düster und zeitlos, ganz nach meinem Geschmack. Das Ensemble singt hervorragend. Irgendwie scheint alles aus einem Guss zu sein an diesem Abend. Und doch bleibt all dies zurück, tritt in den Hintergrund, erscheint mir nicht wichtig. Denn das Stück erfährt eine so untrennbar starke Verbindung zu seiner Entstehungsgeschichte, dass bereits seine pure Aufführung an sich gewürdigt werden sollte.
Ich erlebe eine emotional aufwühlende Vorstellung wie selten zuvor.
Die Handlung ist geprägt vom Tod, aber auch vom Versuch des (Über-)Lebens. Dem Regime des brutalen Kaisers scheint kein Entrinnen möglich. Sogar der Tod persönlich verweigert seinen Dienst. Die wenigen Botschaften der Liebe wirken einsam und hoffnungslos. Und dennoch scheint es Hoffnung zu geben. Streckenweise ist es für mich nur schwer zu ertragen, auf welche Weise die eigentlichen Botschaften des Stücks transportiert werden sollten. Die harten Bilder der aktuellen Inszenierung verstärken diese Wirkung obendrein.
Ich erlebe eine emotional aufwühlende Vorstellung wie selten zuvor.
Die Handlung ist geprägt vom Tod, aber auch vom Versuch des (Über-)Lebens. Dem Regime des brutalen Kaisers scheint kein Entrinnen möglich. Sogar der Tod persönlich verweigert seinen Dienst. Die wenigen Botschaften der Liebe wirken einsam und hoffnungslos. Und dennoch scheint es Hoffnung zu geben. Streckenweise ist es für mich nur schwer zu ertragen, auf welche Weise die eigentlichen Botschaften des Stücks transportiert werden sollten. Die harten Bilder der aktuellen Inszenierung verstärken diese Wirkung obendrein.
Kunst als Widerstand – Essay von Anna Grundmeier
Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ ist die einzige erhalten gebliebene Oper, die in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten komponiert wurde. Seine besonderen Entstehungsumstände – geprägt durch Not, Angst und Entbehrung, aber auch durch einen unbedingten, künstlerischen Gestaltungswillen – machen das Werk zu einem einzigartigen Mahnmal gegen das Vergessen. „Der Kaiser von Atlantis“ steht beispielhaft für das mutige Engagement zahlloser Künstlerinnen und Künstler, die durch ihre kulturelle Betätigung im alltäglichen Grauen der Konzentrationslager für sich und ihre Mitgefangenen trotzig jene Menschenwürde behaupteten, die ihnen durch ihre nationalsozialistischen Peiniger abgesprochen worden war. Heute scheppern erneut volksverhetzende Parolen aus Lautsprechern und finden ein jubelndes Publikum. Erneut verkünden Trommler die Herrlichkeiten starker Führer und verheißen einfache Lösungen für komplexe Probleme. Umso notwendiger ist es, dass Bühnen dem „Kaiser von Atlantis“ einen Platz in ihrem Repertoire einräumen und auf diese Weise ein klingendes Zeichen dafür setzen, wie wichtig es ist, aktiv gegen Unrecht, Unterdrückung und Populismus einzutreten.
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In Ullmanns Oper ist es der Tod, der sich eines Tages dazu entscheidet, gegen den paranoid totalitär regierenden Kaiser Overall aufzubegehren. Jahrtausende lang wurde er von den Menschen als „werter Gast“ im Kreislauf des Lebens geehrt, doch im Zeitalter des maschinisierten Massentötens zu einem „kleinen Handwerker des Sterbens“ degradiert. Als ihn der Tyrann zur Galionsfigur seiner despotischen Einschüchterungspropaganda verklärt, tritt der Tod in Streik.
Die Fäden des kaiserlichen Unrechtssystems, straff gehalten durch die schweigende Duldung der breiten Masse, verlieren in jenem Moment an Spannung, als der Tod seinen Einspruch gegen die herrschenden Verhältnisse erhebt. Je wahrnehmbarer die einst starre Machtarchitektur erschlafft, desto unaufhaltsamer erobern sich neue Impulse den freigewordenen Raum: Hoffnung und Liebe.
Kaum verhohlen thematisiert, kommentiert und karikiert „Der Kaiser von Atlantis“ den politischen und gesellschaftlichen Wahnsinn seiner Zeit: die esoterischen Suche „ario-atlantischer“ Nationalsozialisten wie Heinrich Himmler nach einer versunkenen „arischen Ur-Kultur“, die sich im selbst verliehenen Ehrentitel des despotischen Herrschers Overall (dt. Überall), „Kaiser von Atlantis“, widerspiegelt. Der blindwütige Fanatismus von Hitler-Anhängerinnen wie der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, die wie der Trommler mit Parolen wie „Gehorsam ist bedingungslos“ die Heimatfront auf ideologische Linie brachten. Die unpersönliche „Lautsprecher“-Bürokratie jener zahllosen Funktionäre, die „einfach nur“ Befehle ausführen und ihre Gesinnung beliebig nach der politischen Lage wechseln. Und schließlich der unermesslichen Schrecken und Irrsinn der Vernichtungslager, dem „Ausgedinge“ des Lebens, in dem sich auch Tod und Harlekin wiederfinden. Tod und Harlekin, dieses allegorische Zweigestirn erscheint wie ein Spiegelbild seiner Schöpfer Viktor Ullmann und Peter Kien. Es ist erstaunlich, wie sehr die Figuren den Charakterzeichnungen ähneln, mit denen Mitgefangene in Theresienstadt die beiden Künstler beschrieben. Den Komponisten Viktor Ullmann erlebte man als pflichtbewusst, ernst und in sich gekehrt, niemals – so heißt es – habe man ihn lächeln sehen. Seinen Librettisten Peter Kien dagegen porträtierte beispielsweise H.G. Adler in seinem Standardwerk „Theresienstadt – Antlitz einer Zwangsgemeinschaft“ als „erfrischend naiv, urwüchsig, einfallsreich, dabei ein selbstloser Freund und Helfer aller anderen Künstler“.
Über das Verhältnis der beiden Künstler ist kaum etwas bekannt, es gibt Hinweise, die vermuten lassen, dass ihre Arbeitsbeziehung möglicherweise nicht immer harmonisch verlief. Anders verhält es sich mit dem ungleichen Gespann von Tod und Harlekin. Etymologische Theorien verorten den „harilo-king“ (althochdeutsch für „Heerkönig“) Harlekin als Anführer des Totenheeres, dessen zerlumptes, mit Rauten versehenes Flickengewand dem verwesenden Leichnam nachempfunden ist. Als „Drahtzieher des Lebens“ hat der Harlekin seinen unverrückbaren Platz an der Seite des Todes. Der Harlekin ist nicht totzukriegen, dies macht ihn für den Tod zu einem attraktiven Gefährten.
Sowohl Viktor Ullmann als auch Peter Kien setzten sich bereits vor ihrer Deportation nach Theresienstadt künstlerisch mit dem Verhältnis von Tod und Leben auseinander. Im täglichen Überlebenskampf der insgesamt über 140.000 in Theresienstadt inhaftierten Menschen gewann diese Dualität eine neue, fundamentale Bedeutung, der auch eine politische Dimension innewohnte: Nach der 1942 auf der Wannseekonferenz beschlossenen systematischen Vernichtung aller europäischen Juden bedeutete der bloße Wille zum Leben einen Akt der Auflehnung gegen ihre Henker.
Die künstlerische Betätigung, die Milan Kuna in seinem wichtigen Buch „Musik an der Grenze des Lebens“ in allen Konzentrations- und Vernichtungslagern nachweisen konnte, ist unmittelbarer Ausdruck dieses Widerstandes. Während in manchen Lagern jede kulturelle Aktivität der Häftlinge mit sofortiger Hinrichtung bestraft wurde, duldeten die Nationalsozialisten sie in anderen Lagern oder ermutigten sogar ausdrücklich dazu. Die Gründe für diese scheinbare Toleranz vor allem musikalischer Darbietungen sind vielfältig: Häftlingskapellen hatten beim morgendlichen Ausmarschieren der Arbeitskolonnen den Takt vorzugeben, bei Exekutionen die Schreie der Opfer zu übertönen oder die SS zu unterhalten. Auf der anderen Seite demütigten die Aufseher die Gefangenen, indem sie sie beispielsweise zum Singen zwangen.
Eine Sonderrolle spielte das kulturelle Leben im Ghetto Theresienstadt. Die ehemalige Garnisonsstadt, 60 Kilometer nördlich von Prag gelegen, diente den Nationalsozialisten als Durchgangslager, von dem aus regelmäßig Transporte in die Vernichtungslager Treblinka, Majdanek und vor allem nach Auschwitz abgingen. Zeitweilig wurden unter unwürdigsten Bedingungen bis zu 60.000 Menschen in dem Städtchen eingepfercht, das ursprünglich für 5.000 Einwohner konzipiert worden war. Etwa 141.000 fanden hier den Tod. Zugleich wurde Theresienstadt als „Altersghetto“ ausgegeben: Ältere Juden wurden um ihr gesamtes Vermögen gebracht, indem man sie dazu überredete, in „Heimeinkaufsverträge“ zu investieren, die ihnen angeblich ein Anrecht auf einen behaglichen Altersruhesitz garantierten.
Von Beginn an nutzten die Nationalsozialisten ihre „Stadt Als-ob“, wie der in Auschwitz ermordete Kabarettist Leo Straus Theresienstadt in seinem bekannten Lied einmal treffend bezeichnete, als potemkinsches Dorf zur propagandistischen Verschleierung ihrer Gräueltaten. Weitere Beispiele für solche Täuschungsmaßnahmen sind der Besuch einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes am 23. Juni 1944, zu dessen Vorbereitung eine groß angelegte „Stadtverschönerung“ unternommen wurde, sowie der Film „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, in dem der ebenfalls in Auschwitz umgekommene UFA-Regisseur Kurt Gerron der Welt das vermeintlich glückliche Leben der Deportierten präsentieren sollte.
Durch die propagandistische Doppelfunktion des Lagers wurden die anfänglich verbotenen künstlerischen Aktivitäten schrittweise legalisiert und schließlich sogar ausdrücklich gefördert. Ab 1942 etablierte die jüdische Selbstverwaltung die Abteilung „Freizeitgestaltung“, die das kulturelle Leben im Ghetto organisierte und für die neben Peter Kien und Viktor Ullmann viele namhafte Künstlerinnen und Künstler tätig waren, die man in das „Prominentenlager“ Theresienstadt verschleppt hatte. Hier gab es unter anderem eine Zeichenwerkstatt, Bibliothek, Kabarett-, Opern und Konzertaufführungen, Vorträge und Gedichtwettbewerbe, mit denen man sowohl den Lagerinsassen als auch der „Heimatfront“ vorgaukeln konnte, wie angenehm das Leben im „jüdischen Siedlungsgebiet“ doch sei.
Trotz des ideologischen Missbrauchs durch die Nationalsozialisten war und blieb die künstlerische
Äußerung für die Inhaftierten in Theresienstadt ein Mittel des Widerstands, der Selbstvergewisserung der Menschenwürde, der demonstrativen Bekundung des eigenen Lebenswillens. Auch im Konzentrationslager erwies sich der „Harlekin, der unter Tränen lachen kann“ im wahrsten Sinne des Wortes als Lebens-Künstler. Vor allem die Kunstwerke, die in Theresienstadt erschaffen wurden, sind ein trotziges Lachen in die Fratzen der Folterknechte. Der „Kaiser von Atlantis“, aber auch Peter Kiens verschollenes Schauspiel „Marionetten“, zahlreiche ebenso verloren gegangene Theaterstücke, Kabarett-Lieder wie „Karussell“ oder „Die Stadt Als-ob“ oder die heimlichen Zeichnungen, mit denen Maler wie Bedřich Fritta, Leo Haas, Jo Spier und Otto Ungar ungeschönt den Alltag im Vorhof der Hölle dokumentierten – sie alle gingen noch einen Schritt weiter und prangerten kaum verhohlen und schonungslos die Verbrechen des NS-Regimes an.
Die meisten Schöpfer dieser einzigartigen Werke wurden in Theresienstadt oder einem der Vernichtungslager ermordet, doch ihr Vermächtnis lebt weiter. Es ruft uns dazu auf, wie der Harlekin dem Schicksal ins Gesicht zu lachen; wie der Tod das Unrecht nicht widerspruchslos hinzunehmen und sich gegen Willkür und Terror zu stellen. Ein Vermächtnis, das heute aktueller ist denn je. //
Die Fäden des kaiserlichen Unrechtssystems, straff gehalten durch die schweigende Duldung der breiten Masse, verlieren in jenem Moment an Spannung, als der Tod seinen Einspruch gegen die herrschenden Verhältnisse erhebt. Je wahrnehmbarer die einst starre Machtarchitektur erschlafft, desto unaufhaltsamer erobern sich neue Impulse den freigewordenen Raum: Hoffnung und Liebe.
Kaum verhohlen thematisiert, kommentiert und karikiert „Der Kaiser von Atlantis“ den politischen und gesellschaftlichen Wahnsinn seiner Zeit: die esoterischen Suche „ario-atlantischer“ Nationalsozialisten wie Heinrich Himmler nach einer versunkenen „arischen Ur-Kultur“, die sich im selbst verliehenen Ehrentitel des despotischen Herrschers Overall (dt. Überall), „Kaiser von Atlantis“, widerspiegelt. Der blindwütige Fanatismus von Hitler-Anhängerinnen wie der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, die wie der Trommler mit Parolen wie „Gehorsam ist bedingungslos“ die Heimatfront auf ideologische Linie brachten. Die unpersönliche „Lautsprecher“-Bürokratie jener zahllosen Funktionäre, die „einfach nur“ Befehle ausführen und ihre Gesinnung beliebig nach der politischen Lage wechseln. Und schließlich der unermesslichen Schrecken und Irrsinn der Vernichtungslager, dem „Ausgedinge“ des Lebens, in dem sich auch Tod und Harlekin wiederfinden. Tod und Harlekin, dieses allegorische Zweigestirn erscheint wie ein Spiegelbild seiner Schöpfer Viktor Ullmann und Peter Kien. Es ist erstaunlich, wie sehr die Figuren den Charakterzeichnungen ähneln, mit denen Mitgefangene in Theresienstadt die beiden Künstler beschrieben. Den Komponisten Viktor Ullmann erlebte man als pflichtbewusst, ernst und in sich gekehrt, niemals – so heißt es – habe man ihn lächeln sehen. Seinen Librettisten Peter Kien dagegen porträtierte beispielsweise H.G. Adler in seinem Standardwerk „Theresienstadt – Antlitz einer Zwangsgemeinschaft“ als „erfrischend naiv, urwüchsig, einfallsreich, dabei ein selbstloser Freund und Helfer aller anderen Künstler“.
Über das Verhältnis der beiden Künstler ist kaum etwas bekannt, es gibt Hinweise, die vermuten lassen, dass ihre Arbeitsbeziehung möglicherweise nicht immer harmonisch verlief. Anders verhält es sich mit dem ungleichen Gespann von Tod und Harlekin. Etymologische Theorien verorten den „harilo-king“ (althochdeutsch für „Heerkönig“) Harlekin als Anführer des Totenheeres, dessen zerlumptes, mit Rauten versehenes Flickengewand dem verwesenden Leichnam nachempfunden ist. Als „Drahtzieher des Lebens“ hat der Harlekin seinen unverrückbaren Platz an der Seite des Todes. Der Harlekin ist nicht totzukriegen, dies macht ihn für den Tod zu einem attraktiven Gefährten.
Sowohl Viktor Ullmann als auch Peter Kien setzten sich bereits vor ihrer Deportation nach Theresienstadt künstlerisch mit dem Verhältnis von Tod und Leben auseinander. Im täglichen Überlebenskampf der insgesamt über 140.000 in Theresienstadt inhaftierten Menschen gewann diese Dualität eine neue, fundamentale Bedeutung, der auch eine politische Dimension innewohnte: Nach der 1942 auf der Wannseekonferenz beschlossenen systematischen Vernichtung aller europäischen Juden bedeutete der bloße Wille zum Leben einen Akt der Auflehnung gegen ihre Henker.
Die künstlerische Betätigung, die Milan Kuna in seinem wichtigen Buch „Musik an der Grenze des Lebens“ in allen Konzentrations- und Vernichtungslagern nachweisen konnte, ist unmittelbarer Ausdruck dieses Widerstandes. Während in manchen Lagern jede kulturelle Aktivität der Häftlinge mit sofortiger Hinrichtung bestraft wurde, duldeten die Nationalsozialisten sie in anderen Lagern oder ermutigten sogar ausdrücklich dazu. Die Gründe für diese scheinbare Toleranz vor allem musikalischer Darbietungen sind vielfältig: Häftlingskapellen hatten beim morgendlichen Ausmarschieren der Arbeitskolonnen den Takt vorzugeben, bei Exekutionen die Schreie der Opfer zu übertönen oder die SS zu unterhalten. Auf der anderen Seite demütigten die Aufseher die Gefangenen, indem sie sie beispielsweise zum Singen zwangen.
Eine Sonderrolle spielte das kulturelle Leben im Ghetto Theresienstadt. Die ehemalige Garnisonsstadt, 60 Kilometer nördlich von Prag gelegen, diente den Nationalsozialisten als Durchgangslager, von dem aus regelmäßig Transporte in die Vernichtungslager Treblinka, Majdanek und vor allem nach Auschwitz abgingen. Zeitweilig wurden unter unwürdigsten Bedingungen bis zu 60.000 Menschen in dem Städtchen eingepfercht, das ursprünglich für 5.000 Einwohner konzipiert worden war. Etwa 141.000 fanden hier den Tod. Zugleich wurde Theresienstadt als „Altersghetto“ ausgegeben: Ältere Juden wurden um ihr gesamtes Vermögen gebracht, indem man sie dazu überredete, in „Heimeinkaufsverträge“ zu investieren, die ihnen angeblich ein Anrecht auf einen behaglichen Altersruhesitz garantierten.
Von Beginn an nutzten die Nationalsozialisten ihre „Stadt Als-ob“, wie der in Auschwitz ermordete Kabarettist Leo Straus Theresienstadt in seinem bekannten Lied einmal treffend bezeichnete, als potemkinsches Dorf zur propagandistischen Verschleierung ihrer Gräueltaten. Weitere Beispiele für solche Täuschungsmaßnahmen sind der Besuch einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes am 23. Juni 1944, zu dessen Vorbereitung eine groß angelegte „Stadtverschönerung“ unternommen wurde, sowie der Film „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, in dem der ebenfalls in Auschwitz umgekommene UFA-Regisseur Kurt Gerron der Welt das vermeintlich glückliche Leben der Deportierten präsentieren sollte.
Durch die propagandistische Doppelfunktion des Lagers wurden die anfänglich verbotenen künstlerischen Aktivitäten schrittweise legalisiert und schließlich sogar ausdrücklich gefördert. Ab 1942 etablierte die jüdische Selbstverwaltung die Abteilung „Freizeitgestaltung“, die das kulturelle Leben im Ghetto organisierte und für die neben Peter Kien und Viktor Ullmann viele namhafte Künstlerinnen und Künstler tätig waren, die man in das „Prominentenlager“ Theresienstadt verschleppt hatte. Hier gab es unter anderem eine Zeichenwerkstatt, Bibliothek, Kabarett-, Opern und Konzertaufführungen, Vorträge und Gedichtwettbewerbe, mit denen man sowohl den Lagerinsassen als auch der „Heimatfront“ vorgaukeln konnte, wie angenehm das Leben im „jüdischen Siedlungsgebiet“ doch sei.
Trotz des ideologischen Missbrauchs durch die Nationalsozialisten war und blieb die künstlerische
Äußerung für die Inhaftierten in Theresienstadt ein Mittel des Widerstands, der Selbstvergewisserung der Menschenwürde, der demonstrativen Bekundung des eigenen Lebenswillens. Auch im Konzentrationslager erwies sich der „Harlekin, der unter Tränen lachen kann“ im wahrsten Sinne des Wortes als Lebens-Künstler. Vor allem die Kunstwerke, die in Theresienstadt erschaffen wurden, sind ein trotziges Lachen in die Fratzen der Folterknechte. Der „Kaiser von Atlantis“, aber auch Peter Kiens verschollenes Schauspiel „Marionetten“, zahlreiche ebenso verloren gegangene Theaterstücke, Kabarett-Lieder wie „Karussell“ oder „Die Stadt Als-ob“ oder die heimlichen Zeichnungen, mit denen Maler wie Bedřich Fritta, Leo Haas, Jo Spier und Otto Ungar ungeschönt den Alltag im Vorhof der Hölle dokumentierten – sie alle gingen noch einen Schritt weiter und prangerten kaum verhohlen und schonungslos die Verbrechen des NS-Regimes an.
Die meisten Schöpfer dieser einzigartigen Werke wurden in Theresienstadt oder einem der Vernichtungslager ermordet, doch ihr Vermächtnis lebt weiter. Es ruft uns dazu auf, wie der Harlekin dem Schicksal ins Gesicht zu lachen; wie der Tod das Unrecht nicht widerspruchslos hinzunehmen und sich gegen Willkür und Terror zu stellen. Ein Vermächtnis, das heute aktueller ist denn je. //
Handlung
In der maschinisierten Tötungsindustrie des Kaisers Overall von Atlantis sind Harlekin und Tod —„das Leben, das nicht mehr lachen und das Sterben, das nicht mehr weinen kann“ — nur noch Zaungäste in einer Welt, „die verlernt hat, am Leben sich zu freuen und des Todes zu sterben“. Als Overall den Krieg Aller gegen Alle verkündet, sieht sich der Tod endgültig seiner Würde beraubt und verweigert dem Kaiser fortan den Dienst.
Wo der Tod seinen Schrecken verliert, bricht sich das Leben Bahn. Doch welche Macht bleibt einem mörderischen Despoten, in dessen Reich niemand mehr sterben darf? Exekutionen können nicht mehr vollstreckt werden, Soldaten sich nicht mehr gegenseitig töten. Bald kommt es im ganzen Land zu erbittert geführten Aufständen lebender Toter gegen das erzwungene Sterblichkeitsverdikt. Der Tod bietet an, seinen Streik zu beenden, falls der Kaiser das Opfer bringt, „als erster den neuen Tod zu leiden“. Overall nimmt Abschied und folgt dem Tod.
Wo der Tod seinen Schrecken verliert, bricht sich das Leben Bahn. Doch welche Macht bleibt einem mörderischen Despoten, in dessen Reich niemand mehr sterben darf? Exekutionen können nicht mehr vollstreckt werden, Soldaten sich nicht mehr gegenseitig töten. Bald kommt es im ganzen Land zu erbittert geführten Aufständen lebender Toter gegen das erzwungene Sterblichkeitsverdikt. Der Tod bietet an, seinen Streik zu beenden, falls der Kaiser das Opfer bringt, „als erster den neuen Tod zu leiden“. Overall nimmt Abschied und folgt dem Tod.
Opernführer Audio
Einen kurzen Einblick in die Produktion „Der Kaiser von Atlantis” und ihre Hintergründe gibt Ihnen hier Dramaturgin Anna Grundmeier. Den Opernführer in der Live-Version können Sie 30 Minuten vor jeder Vorstellung im Foyer erleben.
Dauer: 09:56 Minuten
Dauer: 09:56 Minuten